Manche träumen von einem vierwöchigen Aufenthalt im Schlaraffenland, all inclusive und zum Schnäppchen-Preis, andere von einem Spaziergang mit tausenden Begleitern bei Temperaturen bis 50 Grad Celsius um einen Kubus, Britta und ich träumten von einer Teilnahme an der diesjährigen UCI-Gravel-WM am 11./12. Oktober 2025 in Limburg, an der zeitgleich die Masterklassen und die Profis beider Geschlechter teilnahmen.
Vor den Preis hatten die Radsportgötter (UCI) die Fleißaufgabe Qualifikation gesetzt. Auch wenn der Anschein in diesem Fall für unsere Altersklasse keine Hürde erkennen ließ, für mich gehörten die Qualifikationsrennen zu den härtesten Aufgaben meiner Radsporterfahrungen. Im ersten Rennen scheiterte ich mit einem 4. Platz, weil der Verkehrsunfall, den ich 2 Tage vor dem Start erlitten hatte, meine physischen und mentalen Kräfte doch stärker beeinträchtigt hatte. Beim 2. Anlauf in Dänemark beendeten mehr als ein Drittel aller Altersklassen-Fahrer das Rennen mit einem DNF.
Wir können uns nicht erinnern, jemals bei einem Rennen so gelitten zu haben wie in Blavand; beendeten das Rennen dann nach 97 km durch militärisches Übungsgelände an der windreichen Nordseeküste auf dem 2. Platz, weil wir im Zeitlimit finishten.
Das Ziel war erreicht, 3 Tage vor dem Ereignis trafen wir in Limburg ein und begaben uns am nächsten Morgen zur Erkundungsfahrt auf die weltmeisterliche Strecke. Nach dem Start im Sportzentrum Beek führten die ersten von 81 Kilometern mit ca. 830 Höhenmetern für die älteren Teilnehmer über geteerte Straßen und ca. 1 km bergauf bis der Kurs dann auf landwirtschaftliche Wege und Schotterpisten abbog. Der naive
Holland-Kenner in uns wurde von den regelmäßig auftauchenden Rampen und Abfahrten auf losem Untergrund und Waldpassagen überrascht, ebenso von der Streckenführung durch den Hof und den Pferdestall der Burg Wijnandsrade und den Park des Hotels Vaeshartelt in Maastrich ca. 3 km vor der Ziellinie. An beiden Passagen wurden an den Renntagen die Fahrer von jubelnden Fans angefeuert, so denn auch wir. Ich bin jetzt sicher, das stärkste Mittel, um übernatürliche Kräfte im Rennfahrer zu aktivieren, ist nicht der Zaubertrank aus der Küche von Miraculix, sondern die Anfeuerung der Fans.
Wir waren nicht die einzigen Gravelisten, die zwischen Beek (Start) und Maastricht (Ziel) an diesem Tag unterwegs waren. Zügig passierende Radlergruppen beobachteten wir aufmerksam, um den einen oder anderen Radsporthelden zu identifizieren. Zuletzt gelang es uns, am Scharfrichter des Rennens, dem Bronsdalweg, einem ca. 1 km langen Anstieg mit durchschnittlichen 8 % und 17 % in der Spitze, in einer Gruppe, die uns fröhlich plaudernd im 17%-Abschnitt überholte, Marianne Voß, Shirin von Anrooij und Lorena Wiebes zu erkennen. Uns fehlte in diesem Augenblick der Atem, um unseren Respekt vor so vielen WM-Titeln, durch anerkennende Worte auszudrücken. Wir fuhren einfach zur Seite und auf dem Groene Loper, einem Rad- und Wanderweg, zum Ziel in das Zentrum von Maastrich.
Der Tag des Rennens begann für uns mit einem umfangreichen Frühstück, gefolgt von einer letzten technischen Kontrolle der „Maschinen“ (J.C. Leclercq). Den letzten Schliff erhielt Brittas quietschende Scheibenbremse von einem Wanderradfahrer, der im selben Hotel wie wir logierte. Er hörte die schrillen Bremstöne, nahm mir den Inbusschlüssel aus der Hand und die Bremse verstummte so plötzlich wie ich, als ich hörte, dass er der Mechaniker von Adri van der Poel gewesen sei. Technisch perfekt vorbereitet und stilgerecht im Nationaltrikot gekleidet starteten wir ins Rennen. Die ersten 5 Straßenkilometer wurden im Sprinttempo gefahren, im Gelände zersplitterte das Feld in Grüppchen und Einzelfahrer. Nachdem ich leider den Kontakt mit der Spitzengruppe meiner Altersklasse verloren hatte, schöpfte ich neuen Mut, weil ich die Anstiege besser als erwartet bewältigte und über viele Kilometer mit einer Fahrerin zusammenspannen (J.C. Leclercq) und Geschwindigkeit hochhalten konnte. Die Extraportion Energie lieferten mir die Zuschauer mit ihren anfeuernden Rufen und ein privates Supporter-Team, das meine verlorene Trinkflasche ersetzte. Als sich der rennentscheidende Anstieg zum Bronsdalweg näherte, fanden Britta und ich uns in einer Gruppe zusammen. Es kam, wie es kommen mußte, langsam aber stetig
vergrößerte sie den Abstand zu mir. Ich kraxelte so schnell, dass ich sogar einen Abstand zur Gruppe herausfahren konnte, aber meine Frau konnte ich am Anstieg nicht einholen. Ich war optimistisch, sie in der Abfahrt oder spätestens auf den 12 km bis zum Ziel einzuholen, wie es bisher in der Familienhistorie beschrieben wurde. Aber dieser Tag brachte den Wendepunkt: Ich sah Britta erst wieder hinter der Ziellinie, in dem Bereich, der für die Rennfahrer abgesperrt und von Hunderten von Zuschauern umgeben war. Ich war versucht, die Aufmerksamkeit des Publikums meiner sportlichen
Leistung zuzuschreiben, wurde aber schnell eines Besseren belehrt. Nachdem meine Frau mir gezeigt hatte, was eine Frau im Radsport leisten kann, beendeten, als wir noch in der abgesperrten Zone saßen, die Elite-Frauen nach 131 km ihr Rennen um das Regenbogen-Trikot mit einem fulminanten Sprint, den Lorena Wiebes vor Marianne Voß und einer enttäuschten Shirin von Anrooij (Platz 5) gewann. Es waren die weiblichen Radsportler mit ihren beeindruckenden sportlichen Leistungen, die Tausende von Zuschauern am Samstag auf den Groenen Loper gelockt hatten. Britta und mich hatte die Erwartung einer intrinsischen Flut von Glückshormonen durch die Teilnahme an der Gravel-WM nach Holland gelockt. Der Wunschtraum wurde
Wirklichkeit, die auch nicht vom Reisesouvenir Coronainfektion getrübt wurde, die uns 2 Tage nach der Heimkehr ins Krankenbett zwang. Was wäre möglich gewesen ohne das Virus in den Knochen?! Antwort: Die Freude an der Teilnahme dieses großen Radevents wäre dieselbe, getreu dem Olympischen Motto: Dabei sein ist alles, oder getreu der Radlervariante: Ein Leben ohne Radsport ist möglich, aber sinnlos.